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"Ganz normal behandelt werden"


BEHINDERTENSPORT Kurzweilige Podiumsdiskussion, die zum Nachdenken und zum Schmunzeln anregte

Speerwerferin Victoria Gramatke aus Rüthen findet: "Fragen ist o.k. - Glotzen ist ganz schrecklich"

"Was heißt denn hier behindert?" - Dr. Reinhild Kemper, Sportwissenschaftlerin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, hatte nicht nur mit der Themenwahl ins Schwarze getroffen. Das gut gefüllte Forum des Gymnasiums erlebte am Dienstagabend eine kurzweilige Podiumsdiskussion mit interessanten Gästen, die nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Schmunzeln anregten.

Verena Bentele, von Geburt an vollblind und eine der erfolgreichsten Athletinnen im Bereich Behindertensport, Weltmeisterin und mehrfache Goldmedaillengewinnerin bei den Paralympics in Skilanglauf und Biathlon, ist froh darüber, dass sie Eltern hat, die immer viel Sport getrieben haben. Schon als kleines Kind sauste sie Skipisten hinunter, fuhr Fahrrad und Rollschuh und sei halt "ganz normal" aufgewachsen. Im Internat ist sie dann "beim Skilanglauf hängen geblieben".

Den Zuschauern erläuterte die lebenslustige junge Frau mit viel Witz und auch Selbstironie den Stellenwert, den der Leistungssport in ihrem Leben hat, aber auch die Probleme, die damit verbunden sind. Als Nichtsehende ist sie immer darauf angewiesen, eine Begleitperson zu haben, die ihrem Tempo standhalten kann - nebenbei hat sie gerade einen Marathonlauf unter vier Stunden absolviert - und dabei noch per Stimme die Strecke erklären kann. "Man muss sehr gut organisiert sein."

Victoria Gramatke, Speerwerferin aus Rüthen, wurde mit nur einer Hand geboren, studiert heute in Köln und trainiert beim TSV Bayer Leverkusen unter Deutschlands bester Speerwerferin Steffi Nerius. Ihr größter sportlicher Erfolg bisher ist der 2. Platz bei den Deutschen Meisterschaften im Behindertensport. Mit ihrer Behinderung hat sie sich sehr gut arrangiert, aber "manchmal ist es anstrengend, wenn man immer ein Ersatzteil braucht."

"Brücken gebaut, mit mir zu reden"

Ihre Mutter Martina Gramatke erlebte das "tiefe Loch", das sich unter einem auftut, wenn man ein behindertes Kind bekommt. Ihre schlimmste Erfahrung war, dass Freunde und Bekannte ihr aus dem Weg gingen. "Ich habe in den ersten vier Wochen keinerlei Besuch bekommen. Ich habe den anderen noch Brücken gebaut, mit mir zu reden", erläutert sie die Probleme gesunder Menschen, mit Behinderungen umzugehen. Nach ihrer Erfahrung sind es oft die Behinderten, die den Gesunden helfen, einen Weg zu finden.

Birgit Dreiszis aus Dortmund sagt, sie habe zwei Leben. Eins als Nichtbehinderte und ihr heutiges Leben im Rollstuhl. Mit 29 Jahren erkrankte Birgit Dreiszis an Multipler Sklerose, konnte innerhalb eines halben Jahres nicht mehr laufen. Ein schwerer Schock für die Kunstturnerin, die erstmal lernen musste, damit zurecht zu kommen. Schnell wurde ihr klar, dass sie wieder etwas mit ihrem Körper machen musste -  und kam so über das Therapiereiten zum Dressurreiten, errang 15 Monate später bei den Paralympics in Atlanta die Goldmedaille. "Das Pferd bewegt meinen Körper. Auf dem Pferd sieht niemand, dass ich behindert bin."

Erich Drechsler kennt beide Leben als einer der erfolgreichster Leichtathletik-Trainer Deutschlands. Nach jahrelanger Arbeit mit deutschen Spitzenathleten - unter anderem mit Weitsprung-Weltmeisterin, Olympiasiegerin und Schwiegertochter Heike Drechsler - kam er zufällig zu den Sportlern mit Handicap, arbeitet mit der unterarm amputierten Weitspringerin Catherine Bader-Bille und dem ehemaligen Fußballer Wojtek Czyz, der nach einem Sportunfall als Shootingstar in der Leichtathletik-Szene der Behinderten Furore macht. Als Czyz nach seiner Unterschenkelamputation aus der Narkose aufwachte, wollte er sich das Leben nehmen, kam dann zur Leichtathletik und bat Erich Drechsler, mit ihm zu trainieren: "Ich will bei Ihnen trainieren und 2004 Olympiasieger werden", lautete 2002 seine willensstarke Äußerung. Gleich drei mal ist ihm dieses Kunststück gelungen.

Die Akzeptanz als Behinderte in der Gesellschaft sei aber nicht primär durch den Sport gegeben, sondern maximal ein positiver Nebeneffekt, betont Victoria Gramatke. Sie selbst habe ihren Weg gefunden und stehe inzwischen darüber, wenn ihr negative Resonanz auf ihre Behinderung widerfahre. "Viel wichtiger ist es, dass die Eltern behinderte Kinder so sozialisieren, dass sie zu selbstbewussten Menschen heranwachsen", ergänzt Verena Bentele. "Jeder Behinderte sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten schauen, dass er eine höchstmögliche Fitness erreicht, um den höchsten Grad der möglichen Selbständigkeit zu erreichen", sind sich alle einig.

"Beide Parteien müssen sich annähern"

So unterschiedlich ihre Behinderungen auch sind, eins haben alle gemein: die mangelnde Akzeptanz des Leistungssports im Vergleich zu Nichtbehinderten. Drechsler: "Behinderte kommen ganz schlecht dabei weg. Nichtbehinderte können von ihrem Sport leben, wenn sie gut genug sind." Wenig Interesse der Medien und daraus resultierende fehlende Sponsoren sind das größte Problem der Sportler mit Handicap. "Öffentlichkeitsarbeit ist sehr wichtig." Man sei gezwungen, selbst Möglichkeiten zu finden, werbewirksam zu sein, meint Verena Bentele. Allerdings sehen sich die Sportler auch selbst in der Verantwortung. "Ein Behinderter ist auch gefordert, daran zu arbeiten!" oder "beide Parteien müssen sich annähern." Erich Drechsler klagt auch die Funktionäre an: "Die Funktionäre ruinieren den Sport", kritisiert er die Zusammenlegung verschiedener Schadensklassen, um weniger Goldmedaillen vergeben zu müssen. "Das ist sehr kompliziert zu verstehen und zum Teil ungerecht, wenn eine beinamputierte Frau aufgrund der Faktorisierung mit Prozentgutschriften den Weitsprungwettbewerb mit 2,70 Metern gegen eine unterarmamputierte Frau gewinnt, die mehr als sechs Meter gesprungen ist."

Gemeinsam haben die Sportler vor allem den Wunsch, "ganz normal" behandelt zu werden. Dreiszis: "Im Rollstuhl habe ich etwa die Größe einer Elfjährigen und so werde ich auch behandelt", sei sie zumindest am Anfang sehr verletzt gewesen über das Verhalten ihrer Mitmenschen. Verena Bentele erlebt es oft, dass Menschen ihr ungefragt helfen möchten, wenn sie beispielsweise gerade mal nach der U-Bahn rennt. "Die Leute wollen mich festhalten, dabei komme ich eigentlich ganz gut klar", wäre es ihr lieber, Hilfe anzubieten, statt einfach angefasst zu werden. Victoria Gramatke findet: "Fragen ist o.k. - Glotzen ist ganz schrecklich."

Text: Monika Nolte, WA, 7.6.07